Der Affe fällt nicht weit vom Stamm |
Der Affe fällt nicht weit vom Stamm -Leipzig In einer Studie von Harley/ MacAndrew Anfang der 1990er Jahre wurde festgestellt, dass Malapropismen oft bei Wörtern auftauchen, die eine niedrige Frequenz haben10. Das unterscheidet sie von phonologischen Versprechern, bei denen die Frequenz keinen Einfluss hat, wie MacWhinney (1986) und Dell (1990) gezeigt haben11. Vitevitch zeigt mit seiner Untersuchung, dass mehr Malapropismen auftreten, wenn es sich beim intendierten Wort um ein niedrig frequentes Wort mit einer spärlichen (phonologischen) Umgebung handelt als wenn es eine dichte Umgebung hat12. Er meint damit Wörter mit ähnlichen phonologischen Eigenschaften. Vitevitch konstatiert, dass die Produzenten von Malapropismen sich durchaus der richtigen Semantik sowohl des intendierten als auch des tatsächlich verwendeten Wortes sind und grenzt reale Malapropismen explizit von Sheridans Madame Malaprop (siehe unten) ab13. Er begründet dies mit der der spontanen Korrektur der Sprecher. Diese Voraussetzung benötigt er für die Konstatierung, dass Malapropsimen die Folge einer “mis-selection made somewhere in the speech production system” seien und nicht das Ergebnis einer falschen Wortverwendung. Die Beispiele aus Internetforen (siehe unten) zeigen jedoch, dass die Sprachbenutzer sich nicht immer über die falsche Verwendung bewusst sind. Eine niedrige Frequenz im Gebrauch kann ja durchaus im Zusammenhang stehen mit einer geringen Fremdwortkompetenz. Als soziales Phänomen begegnet der Malapropismus bei sozialen Aufstrebern, die durch den häufigen Gebrauch von Fremdwörtern oder einer Fremdsprache den Eindruck von Bildung zu erwecken versuchen. Diese Strategie wurde und wird von Schriftstellern genutzt, um eben solche sozialen Anbiederungsversuche als charakterbildend bei literarischen Figuren darzustellen. Die namengebende Figur Madame Malaprop begegnet in Richard Brinsley Sheridans Schauspiel The Rivals von 1775. Ihr Name bezieht sich sowohl auf ihr unpassendes Verhalten als auch auf ihre falsche Verwendung von Fremdwörtern. Akt 1: “...you will forget this fellow - to illiterate him, I say, quite from your memory”16 oder “it gives me the hydrostatics to such a degree!”17!" (Akt 3, Szene 3). Ein anderer gebürtiger Ire, Oscar Wilde, macht sich einem ähnlichen Scheitern an Fremdwörtern in der Figur der in ihrer Jugend literarisch ambitionierten Miss Prism in The Importance of Being Earnest zu nutze. Miss Prism kreiert im zweiten Akt das Wort womanthrope, das sie für das Gegenstück zu misanthrope hält, nicht wissend, dass nicht der erste Teil des Wortes mis- 'Mann' bedeutet (griech. πισειν 'hassen'), sondern anthropon , der zweite Teil des Wortes. Malapropismen funktionieren als Mittel des Humors auf der Rezipientenseite nur, wenn die eigentlich richtige Verwendung bekannt ist. Auf der Autorenseite ist eine Voraussetzung, dass es klare Abgrenzungen in Sprache und Verhalten zwischen unterschiedlichen sozialen Gruppen gibt, die im Laufe der Sozialisierung erlernt werden müssen und nicht wie eine Rolle einfach angenommen werden können. Indem die sozialen Aufsteiger (egal, ob sie nur dieses Bild von sich vermitteln wollen oder tatsächlich ihrer einfachen Herkunft zu entfliehen bewerkstelligt haben) an den Verhaltens- und Sprachbarrieren scheitern, wird dem Rezipientenkreis ihre Exklusivität bestätigt. So weit, so ideal steht es mit den Malapropismen und verwandten Phänomenen, wenn sie literarisch verwendet werden. In der wahren Wirklichkeit des Lebens sind es oft Fußballer, die mit Fremdwörtern zu kämpfen haben: „Das wird alles von den Medien hochsterilisiert.” (Bruno Labbadia) oder „Ich habe ihn nur ganz leicht retuschiert.” (Olaf Thon) oder auch „Wir sind eine gut intrigierte Truppe.” Lothar Matthäus). Bei den Wörtern hochsterilisiert und retuschiert haben die intendierten Wörter nicht die gleiche Silbenzahl wie die falschen, wie es Fay/ Cutler für 87 % ihrer Beispiele nachweisen konnten. Bei intrigiert hingegen stimmt sowohl die Silbenzahl als auch das Betonungsmuster (´-´) mit dem korrekten integriert überein. Um Missverständnisse zu vermeiden, hält man es da am besten mit Pierre Littbarski: „In der ersten Halbzeit haben wir ganz gut gespielt, in der zweiten fehlte uns die Kontinu..., äh Kontuni..., ach scheiß Fremdwörter: Wir waren nicht beständig genug!”18 Das letzte Beispiel zeigt vielleicht ganz anschaulich, in welchem Dilemma sich ein Fußballer während eines Interviews befindet: Er ist erschöpft vom Spiel, das gerade erst vorbei ist und soll nun seine Expertenmeinung für den Zuschauer zuhause abgeben. Dabei versucht er, der Situation (möglicherweise vor einem Millionenpublikum und vielleicht sogar, ohne vorher geduscht haben zu können) angemessen, „ordentlich” zu reden, um sich nicht als Trottel darzustellen, der außer Fußball spielen nicht viel kann, zumindest will er ein paar Fremdwörter in seine Aussage einflechten, um seiner Aussage Autorität zu verleihen. Leider findet er dann in seiner abgekämpften Physis und unter dem Stress nicht die richtigen Worte - oder besser eigentlich - nicht das richtige Wort, verrutscht einige Zeilen im mentalen Lexikon und gibt sich so dann doch der Lächerlichkeit preis. Und das alles, wo es doch auch ohne die „scheiß Fremdwörter” ginge. Ein wahrer Teufelskreislauf also. „Echte” Malapropismen, also solche, die der strengen Definition von Fay/ Cutler standhalten (1. gleiche grammatische Kategorie, 2. gleiche Silbenzahl, 3. gleiches Betonungsmuster, 4. existentes Wort) sind aber dennoch im Alltagswortschatz inzwischen verankert: So hört man zum Bleistift von Syphilisarbeit19 und möchte sich das lieber nicht bildlich vorstellen; im Zeitalter der inflationär gefragten Expertenmeinung begegnet man immer wieder Koniferen20 auf ihrem Gebiet und frau ist dann froh, wenn sie sich doch auf ihre weibliche Institution21 verlassen kann. Weniger „echte” Malapropismen (d.h. aus nicht-existenten bzw. noch nicht unbedingt in Wörterbüchern verzeichneten Wörtern) treten aber vielleicht ebenso häufig auf. Ein selteneres Beispiel ist inkomputent, das am 16.10. 2007 lediglich mit zwei deutschen Treffer bei google aufwarten konnte. Beide bezogen sich auf Inkompetenz in Bezug auf Computer22: „der PC laden um die Ecke war absolut inkomputent, was ich suche und was optimal für ein AMD-System ist”23. Auch in schwedischen Internetforenforen gibt es Inkomputenz: Der Forumsbeitrag, der mit „Patetiskt!”24 überschrieben ist und das Wort inkomputent enthält („Asså det är testet är ju helt inkomputent!”25), beschäftigt sich ebenfalls mit Computerproblemen. Ebenso ein zweiter: „Formuläret säger snällt till att jag har varit inkomputent och matat in fel saker.”26 (deutsch: Das Formular sagt freundlich, dass ich inkomputent war und falsche Sachen eingegeben habe.) In einem dritten Forum werden Themen aus dem militärischen Bereich diskutiert: „Du säger alltså att ledningen inkomputent och att du vet bättre än den.”27 (deutsch: Du sagst immer, dass die Leitung inkomputent ist und dass du es besser weißt als die.) ![]() Abbildung 1: google-Treffer für „inkomputent” abzüglich jeweils eines Treffers, für den die Autorin des Aufsatzes selbst verantwortlich ist Unter dem Nickname MAX007 schreibt ein Internetuser zur ersten Sendung Schmidt und Pocher in der ARD: „Die meisten Kritiker tun einen auf Interlektuell und haben selbst null Ahnung. Kritisieren alles was es gibt nur um als besonders Anspruchsvoll zu gelten.”32 Treffender hätte man es wohl kaum formulieren können. ![]() Abbildung 2: google-Treffer für interlektuell von Oktober 2007 bis Februar 2008 Im Fantasy-Rausch der letzten Jahre mit all seinen mehrbändigen Werken trifft man in Internetforen, bei Buchhändlern33 und vermutlich auch in Literaturwissenschaftsseminaren immer wieder auf Triologien. Auch hier hat sicher die Volksetymologie wieder zugeschlagen. Und warum auch nicht, ein Trio besteht doch auch aus drei Teilen. Malapropismen machen jedoch an der Wortgrenze nicht halt. Wie am obigen Beispiel des Strandes am Meer können auch in Sprichwörtern oder Redewendungen Wörter ersetzt oder die syntaktische Einheit ergänzt werden. Wer seine Rede gern mit Redewendungen würzt, aber diese wohl fehlerhaft gespeichert hat oder sie zumindest nicht mehr korrekt abrufen kann, sagt dann eben Sätze wie „Der Affe fällt nicht weit vom Stamm.” oder „Es ist nicht alles Holz was glänzt.”34 In beiden Fällen stimmen die vier Kriterien von Fay/ Cutler zu, es handelt sich also um „echte” Malapropismen. Befürchtungen wie „So kommen wir auf keinen grünen Nenner!” oder auch „Du hast ja wohl nicht mehr alle Latten am Schrank!” sollte man wohl eher nach Barz35 als Kontamination betrachten. Malapropismen, egal wie streng man sie definiert, sind also beabsichtigte oder versehentliche Versprecher, die den Alltag oder die Literatur aufheitern, weil der geistig überlegene Rezipient gern über den weniger gebildeten oder die Parodie desselben lacht. ↑[2] Malapropisms and the Structure of the Mental Lexicon, S. 505. ↑[3] Nur eins der vielen Beispiele aus der Sketchreihe „Kentucky schreit ficken” Comedy-Sendung „Samstag Nacht Show”, die in den 1990er Jahren recht populär war und deren Witz sich ausschließlich aus Spoonerismen speiste, die meist zu sexuellen Wortspielen führten. ↑[4] Gehört auf BBC Radio 7 in einer Folge “Play and Record”. ↑[5] Malapropisms and the Structure of the Mental Lexicon, S. 506f. ↑[6] S. 508. ↑[7] S. 508. ↑[8] S. 509. ↑[9] S. 511. ↑[10] Michael S. Vitevitch, ‚The Neighborhood Characteristics of Malapropims', in: Language and Speech, 1997, 40 (3), S. 213. ↑[11] Vitevitch, S. 214. ↑[12] Vitevitch, S. 222. ↑[13] Vitevitch, S. 212. ↑[14] Adolfo Luis Soto Vázquez, ‚Shakespeare's Use of Malapropisms and their Reflection in Spanish Translation', in: Babel 49:1 (2003), S.1-22. ↑[15] Es wurden hier die Originaltitel gewählt, da die Malapropismen von Übersetzern - laut Vázquez - nicht erkannt oder zumindest nicht übertragen werden. ↑[16] Obliterate wäre das richtige Wort gewesen. S. 114. ↑[17] Sie meint hysterics. ↑[18] Alle Zitate von http://www.ja-gut-aeh-ich-sag-mal.com/ am 12.11.2007. ↑[19] 1820 Treffer bei google am 12.11.2007 mit einem deutlichen Anteil von humoristischer Verwendung. ↑[20] Am 12.11.2007 brachte das immerhin 70 Treffer bei google, wobei nicht jeder einzelne auf humoris-tische Verwendung überprüft wurde. ↑[21] 103 Treffer bei google am 12.11. 2007 mit der gleichen Einschränkung wie für die Konifere. ↑[22] Man könnte vermuten, dass es sich um absichtliche Verwendung des falschen Wortes handelt, wenn man jedoch die gesamten Beiträge in den Foren liest, wird man feststellen, dass es mit der Sprachkompetenz der Schreiber nicht weit her ist. ↑[23] www.tweakpc.de/forum/amd-cpus-und-mainboards/8705-amd-2000-pc-cpu-luefter-umgedreht.html 22.10.2007 ↑[24] Eigentlich wie im Deutschen 'gehoben, feierlich', aber hier wohl eher als Lehnübertragung aus dem Englischen pathetic 'armselig, erbärmlich' zu verstehen. ↑[25] Etwa: „Also dieser Test ist ja total inkomputent.” http://macworld.idg.se/2.1038/1.94111?articleRenderMode=listpostings 17.10.2007 ↑[26] https://webapp.isk.kth.se/falk/servlet/ShowObjection?opponentid=925 22.10.2007 ↑[27] http://forum.soldf.com/lofiversion/index.php/t7838.html 22.10.2007 ↑[28] http://www.urbandictionary.com/define.php?term=incomputent 17.10.2007 ↑[29] 17.10.2007, am 12.11.07 nur noch 325 Treffer. ↑[30] Geschrieben von bodrul auf http://www.abovetopsecret.com/forum/thread303446/pg2 über George W. Bush. ↑[31] Am 17.10.2007 immerhin mit 360 Treffern bei google vertreten und dabei dachte die Autorin, sie wäre einzigartig witzig. Niederschmetternd. ↑[32] http://www.tvblogger.de/uber-die-antennen-hinaus-schmidt-pocher/ 12.11.2007 ↑[33] http://www.amazon.de/Die-Dream-Triologie-hoch-wie-Himmel/dp/3442350913 12.11.2007. amazon preist allerdings auch gern mal ein Buch mit dem Titel "Ältere Deutsche Literatur Eine Einführung" als "Eiführung" an. ↑[34] Beide stammen aus dem Freundeskreis der Autorin. ↑[35] I. Barz et al.: Wortbildung - praktisch und integrativ, Frankfurt a. M. 2002, S. 181. |
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Letzte Aktualisierung ( Mittwoch, 2. April 2008 ) |